Was ist das eigentlich: „Soziokultur“? – eine kurze Einführung
„Vielfalt. Aus Prinzip“ ist das Motto von Soziokultur
In den frühen 1970er-Jahren der westdeutschen Bundesrepublik entwickelten sich aus der Diskussion um ein neues Gesellschaftsmodell Initiativen und später Vereine, in denen es frei und gerecht zugehen sollte und auf jeden Fall anders als nach den bisher herrschenden Regeln. Eine andere Art von Arbeit und Leben stand am Anfang im Vordergrund. Kultur war dabei ein wichtiger Baustein. Unter denen, die gemeinsam anders leben wollten, waren viele Künstler*innen, die ein anderes Kulturverständnis entwickelt hatten.Sie suchten und fanden Räume für ihre oft die Grenzen des Herkömmlichen sprengende Kunst und auch Adressaten für die Weitergabe ihres Wissens und Könnens.
Es entwickelte sich ein anderes Demokratieverständnis, das für jedes Mitglied eines Gemeinwesens mehr Beteiligung an künstlerischen, an alltäglichen wie an gesellschaftlichen Prozessen ermöglichte. Stellvertretend steht der Name Joseph Beuys für diese Entwicklung. Die Verbreitung der demokratischen und kulturellen Praxis traf mit dem Entstehen alternativer Politikprozesse, wie z.B. dem Entstehen von Bürgerinitiativen und zivilgesellschaftlichen Bewegungen wie der Frauenbewegung zusammen. Diese Praxis erhielt den Namen „Sozio-Kultur“.
Die Entwicklung setzte sich ab von dem klassisch unpolitischen Kunstverständnis der Nachkriegszeit. Es entstanden die sogenannten soziokulturellen Zentren als institutioalisierter Ausdruck einer gesellschafts-bezogenen kulturellen Praxis. Was in den 70er und 80er Jahren für die soziokulturelle Szene stand, ist heute parteiübergreifend selbstverständlich geworden.
Ganz selbstverständlich findet heute Kunst und Kultur an nicht dafür geschaffenen Orten statt (wie leerstehenden Fabriken und Bahnhöfen, aber auch in Autohäusern und Konsumpalästen). Jedes Museum, jedes Theater, das auf sich hält, bietet Kunst und Kultur zum Anfassen und Selbermachen an. Besonders bemüht man sich um die Bevölkerungsgruppen jenseits des Bildungsbürgertums und um den Nachwuchs.
Soziokultur gestaltet gesellschaftliche Prozesse
In unserer globalisierten Welt, die dem Bürger scheinbar eine unüberblickbare Vielfalt zu bieten scheint, ist es auch die Aufgabe der Kultur, tatsächlich bestehende „Fremdheit“ zu überbrücken. Die Stichworte von heute sind Klimawandel und Nachhaltigkeit, neue Formen der Verbindung von Arbeit und Leben, Raum bieten für unterrepräsentierte Formen von Kunst, die Wiederentdeckung der Langsamkeit und des Scheiterns als wichtige Elemente kreativer Prozesse und nicht zuletzt die von Hermann Glaser geforderte „emanzipatorische Vision, dass die Beschäftigung mit den kulturellen Werten nicht mehr an bestimmte gesellschaftliche Schichten geknüpft sein darf“.
Soziokultur wirkt!
Soziokultur verfügt über eine gut 40-jährigen Erfahrung und eine mittlerweile gut entwickelte Infrastruktur. Sie wirkt mit am weiteren Demokratisierungsprozess, sie hilft gegen Einsamkeit, sie kann mitwirken an der Schaffung von Chancengleichheit, sie setzt gerade in der heutigen Zeit und ihren besonderen Herausforderungen lösungsorientierte Potentiale frei.
Was allerdings vorhanden sein muss, ist der Wille zur Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse mittels Kunst und Kultur. Soziokultur kann die kreative DNA unserer Gesellschaft sein!!!
Dass sie einem Bedürfnis vieler Menschen entspricht, dafür sind 13,5 Millionen Besuche (2017) soziokultureller Zentren ein deutlicher Beweis.
Quelle: vgl. Bundesverband Soziokultur e.V. 2021 (stark gekürzt)